,,Wer mich kopiert hat nicht kapiert, Menschen mit Demenz sind so individuell wie wir“, die Botschaft von Brigitta Schröder ist eigentlich verständlich und trotzdem tut man sich schwer, diese Theorie in die Praxis umzusetzen. Warum Impulse geben wichtiger ist als zu belehren, das hat mir Brigitta außerdem in unserem Gespräch verraten, denn Brigitta Schröder setzt Impulse ohne sich aufzudrängen und bewegt ein Umdenken in den Köpfen, das noch lange anhält.
„Ich habe kein Rezept für den Umgang mit Dementen, denn die Menschen können nur individuell selbst den Impuls umsetzen, den ich ihnen gebe. Es braucht viel Phantasie, viel Kreativität und Flexibilität – jeden Tag, jede Minute im Umgang mit Menschen mit Demenz – denn wenn du in die Gefühle rein willst, dann solltest du die Sinne in die Schule schicken“, so erklärt mir die 85-jährige Diakonisse Brigitta Schröder die in Essen lebt ihren Blickrichtungswechsel.
Brigitta Schröder kümmert sich seit Jahren ehrenamtlich um Menschen mit Demenz. Anfang der Siebziger kommt Schröder aus dem Diakoniewerk Neumünster in der Schweiz nach Deutschland und arbeitet hier lange im Gesundheitswesen. Sie hat durch ihr langjähriges, zeitintensives Engagement im sozialen Bereich auf dem Gebiet der Betreuung von Demenzkranken auszeichnungswürdige Verdienste erworben und bekam 2015 das Bundesverdienstkreuz verliehen. Als diplomierte Krankenschwester arbeitete sie zuletzt von 1974 bis 1991 als Oberin und Pflegedirektorin im Evangelischen Krankenhaus der Huyssens-Stiftung in Essen. Anschließend legte sie an der Universität Dortmund ein Seniorenstudium in den Fächern „Gerontologie“ und „Geragogik“ (Pädagogik des Alterns) ab und absolvierte zusätzlich eine Ausbildung zur Supervisorin.
Brigittas Wissen über Demenz steckte noch in den Kinderschuhen als ihre gute Freundin Martha Soltek Ende der 90er dement wurde. In ihrem Buch „Martha du nervst“ erklärt die Diakonisse wie sie ihre Freundin über die Jahre betreute und wie sie von Dementen einiges lernen konnte.
Brigitta findet, dass sich die Gesunden ein Beispiel an jenen Menschen nehmen sollten, die Normen, Konventionen und Prägungen hinter sich gelassen haben und ehrlich, authentisch und gefühlsbetont agieren.
Es sind die kleinen Finessen, die Brigittas Blick auf Demenz ausmachen: Sie selbst spricht nicht von Demenzkranken sondern von Menschen mit Demenz
Es sind die kleinen Finessen, die Brigittas Blick auf Demenz ausmachen: Sie selbst spricht nicht von Demenzkranken sondern von Menschen mit Demenz. Denn sie sind Persönlichkeiten wie wir, nur in einer anderen Daseinsebene. Menschen mit Demenz sind so individuell wie wir – man muss sie da abholen, wo sie gerade sind.
Brigitta Schröder sitzt mir an ihrem gedeckten Kaffeetisch in vollem Ornat gegenüber und beeindruckt allein durch ihre Gesten. Für ihre 85 Jahre ist die Diakonisse sehr aktiv und haut während des Interviews mehrmals kräftig auf den Tisch. Im nächsten Moment lehnt sie sich gelassen in ihrem Holzstuhl zurück. In der rechten Hand hält sie – die 85 jährige – ein IPad und sucht nach ihrer Präsentation während sie mir erklärt, wie sie durch ihre Freundin Martha einen neuen Blickwinkel auf die Welt der Demenz bekam.
,,Wir sollten neugierig sein, bereit sein zu lernen und andere Wege zu gehen. Da sind uns die jüngeren Generationen schon einiges voraus.“
Mit Martha war es nicht immer einfach, da habe ich mir schon viel zugemutet. Ich habe gelernt, wenn man seine eigenen fünf Sinne belebt, dann komm man mehr in die Gefühle rein. Da hat es bei mir klick gemacht und wenn du gut bei dir bist, dann findest du auch das richtige Wort. Wir müssen neugierig sein, bereit sein zu lernen und andere Wege zu gehen. Da sind uns die jüngeren Generationen schon einiges voraus. Dass wir anfangen, uns nicht mehr über Arbeit und Leistung zu definieren, sondern über die Person, das ist meine Vision und mein Wunsch. Dann können wir eine Gleichwertigkeit in der Gesellschaft erreichen. Wenn du guckst, dann haben wir schon viele Netzwerke geschaffen, die wir noch mehr ausbauen können.
Bei mir gibt es immer „sowohl als auch“ und nicht „entweder oder“ wir sind so erzogen in der Dualität schwarz/weiss, gut/böse, entweder du isst deinen Spinat oder du bekommst dann keinen Pudding. Wir alten sollten Schulpflicht haben, dass wir mit der kommenden Demographie anders umzugehen und lernen mit Demenz umzugehen, um Phantasie und Kreativität zu lernen. Wir müssen lernen Emotionalität zuzulassen“.
Mit ihren Büchern, unzähligen Vorträgen und Auftritten möchte Brigitta Schröder nicht mit erhobenem Finger mahnen, sondern vielmehr auf Augenhöhe Impulse geben, um für einen besseren Umgang mit Menschen mit Demenz zu sensibilisieren, denn Demente sollten in unsere Mitte gehören und nicht ausgegrenzt werden.
Brigittas ganzheitlicher Ansatz beginnt immer bei einem selbst. Sie zeigt auf, dass wir uns darin üben sollten, uns selbst zu schätzen, da wir erst dann fähig werden, andere wirklich zu respektieren. „Schön, dass es mich gibt – sich selber lieben, sich akzeptieren, ganzheitlich, dass ich auch meine Unebenheiten, meine Ecken, Kanten, Unsicherheiten und Grenzen annehme, um mutig miteinander da zu sein und im Umgang mit Dementen neue wege zu gehen. Die Querdenkerin findet, dass Eigenlob nicht stinkt, sondern Eigenlob stimmt.
,,Ich kann nur Impulse geben, mehr nicht. Ich will keine Ratschläge geben, nur Impulse und die muss dann jeder individuell umsetzen.“
Die erste Phase der Demenz ist wahnsinnig mühsam, es ist ein Prozess in dem alle Angehörigen individuell reagieren. Ich kann nur Impulse geben, mehr nicht. Ich will keine Ratschläge geben, nur Impulse und die muss dann jeder individuell umsetzen.“
Brigitta ist gedulig und weiss aus ihren Erfahrungen, dass es Angehörigen oft schlechter geht als den Betroffenen selbst, denn „Festhalten braucht Kraft aber loslassen braucht viel mehr Kraft. Aber loslassen heißt nicht fallen lassen.“