Joelle Wörtche

"Niemand sieht die Welt so bunt wie Oma."

Ich heiße Joelle Wörtche, bin 28 Jahre alt und wohne mit meinen Eltern auf einem historischen Gehöft in Harreshausen. Ich bin Kauffrau für Marketing, habe meinen Bachelor in Online-Journalismus abgeschlossen und studiere zurzeit im Master an der Hochschule Darmstadt Media, Technology & Society. Ich betreue das vom Bundesministerium für Familie und Soziales geförderte Projekt „Lokale Allianz für Menschen mit Demenz“.

 

Seitdem ich meine demenzkranke Großmutter betreue, hat sich mein Leben verändert. Ich trage Verantwortung, nicht nur für mich alleine- was sicher schwierig genug ist- sondern ein Stück weit auch für Oma.

Vor drei Jahren lebte Oma noch mit bei uns. Damals besuchte sie unter der Woche von Morgens bis Nachmittags eine Tagespflegeeinrichtung. In dieser Zeit konnte ich studieren und meine Eltern arbeiten. Am Wochenende gab es das volle Programm: vom gemeinsamen Frühstücken über das gemeinsame Spazieren gehen und Einkaufen bis hin zum Familienausflug an den See und das allabendliche Waschritual mit stichpunktartigen Waschanweisungen von mir.

Heute ist Omas Demenz weiter fortgeschritten und sie lebt mit 9 weiteren Senioren in einer Demenz WG. Mama und ich sind jeden Abend bei ihr, reichen ihr das Abendessen und begleiten sie zum Schlafenlegen. Eine Möglichkeit für uns das gewohnte innige Familienleben aufrecht zu erhalten und zu wissen dass sie rund um die Uhr von liebevollem Personal versorgt wird.

Es lässt sich nicht abstreiten: Ich habe weniger Zeit für mich, und ich frage mich oft, warum ich das alles mit 28 Jahren überhaupt mitmache. Mir wird dann aber immer sehr schnell klar, dass ich meine Familie liebe und der Familienzusammenhalt bei uns schon immer groß geschrieben wird. Meine Mutter geht mir in Sachen Nächstenliebe als großes Vorbild voran. Sie pflegte bereits ihre Großmutter und ihren Vater bis zum letzten Tag. Ich konnte schon als Kind spüren, wie wertvoll eine Familie ist und wie wichtig es ist, für einander da zu sein.

Meine Großmutter bereichert mich auf ihre ganz eigene Weise und schenkt mir viele wertvolle, ja unbezahlbare Momente, in denen ich grinsend und schmunzelnd neben ihr sitze. Durch sie sehe ich die Welt mit anderen Augen. Oder besser gesagt: Mit ihren Augen. Jeden Tag lasse ich mich auf ein neues Abenteuer ein. Manchmal frage ich mich, wie Oma es schafft, immer wieder Dinge zu bemerken oder anzusprechen, auf die ich niemals käme. Die Krankheit Demenz trägt dazu bei. Sie hat mir gezeigt, dass die Welt nicht nur aus Schwarz und Weiß besteht, sondern bunt wie ein Regenbogen ist. Sie hat schon in unzähligen Situationen geschafft, mich so zum Lachen und Schmunzeln zu bringen wie kein anderer.

In den folgenden Schmunzelgeschichten erzähle ich von Erlebnissen, die ich dank Oma erleben darf und die erklären, warum die Krankheit Demenz neben vielen Belastungen und Entbehrungen auch eine Bereicherung für pflegende Angehörige ist, denn niemand sieht die Welt so bunt wie Oma.