Die Beziehung zwischen Oma und ihrem Gebiss ist, sagen wir mal: „Besonders“. Wie es eben in einer herkömmlichen Hassliebe von statten geht: Es geht nicht mit, aber auch schon gar nicht ohne!
Jeden Tag erlebe ich folgendes: Oma schimpft den ganzen Tag über ihr Gebiss und dass sie es überhaupt zugelassen hat, dass ihr deswegen drei Zähne gezogen wurden. Das aber nur, weil sich die Zähne, die vorher der Brücke Halt boten, entzündeten. Nach drei Jahren Schmerzen, Medikamenten und Fieber erschien uns allen das Ziehen der Zähne wie eine Erlösung. Und doch ist alles besser, als das Gebiss, meint Oma. Am Abend erreicht die Beziehung zwischen Oma und ihrem Gebiss noch eine neue Dimension: Das Gebiss im Glas über Nacht mit einer Reinigungstablette einweichen? Das mag für andere gut sein! Aber nicht für Oma!
Oma gehen dabei wilde Gedanken durch den Kopf; die sie mir natürlich sofort mitteilt. Die ganz persönlichen Gründe, weshalb es nicht gut ist, das Gebiss die ganze Nacht einzuweichen, trägt sie selbstbewusst vor: „Ohne Gebiss, die ganze Nacht, es könnte geklaut werden. Ich könnte es verlieren. Am Ende ersticke ich ohne Zähne, oder es passt nicht mehr!“ Sie stellt sich demonstrativ vor mich, reißt den Mund weit auf und ruft mir ohne Zähne, die liegen nämlich schon im Becher, entgegen: „If habbe ja gar keine tschääähne, fa is doch nur Zahnflllleisch, if kann ja nift mal richtig swätze!“
Argumente wie „Aber Oma nachts musst du nicht schwätzen, nachts schläfst du doch“ ziehen nicht. Spätestens eine halbe Stunde später ist das Gebiss wieder wohlbehalten im Mund fixiert. Die Gefahrenquelle Einweichbecher ist auch für diesen Abend wieder einmal überstanden.